Lebensgeschichte von einem  Kinderarbeiter

kind

Mein Name ist Johann und ich bin zwölf Jahre alt. Es ist 5.30 Uhr und ich muss in der Fabrik arbeiten. Wenn ich morgens aufstehe, bin ich immer noch sehr müde, denn meine Arbeitszeit endet erst um 21 Uhr. Das heißt aber nicht, dass ich dann schon Feierabend machen kann.

Damit meine Familie genug Geld zum Überleben hat, gehe ich auch noch nachts arbeiten. Mein Rücken schmerzt fürchterlich und beim Atmen kratzt es in meiner Lunge. Manchmal meine ich, dass der liebe Gott mich strafen will, weil mir immer die Knochen so schmerzen. Aber meine Mutter sagt, dass wäre von der vielen Arbeit und die Beschwerden in der Lunge kommen von dem Einatmen des Baumwollstaubes.

Jeden Tag, nur nicht am Sonntagnachmittag, stehe ich an der Maschine. Meine Beine und Augen schmerzen. Wenn ich aber nicht richtig arbeite, schlagen mich die Aufseher und ich muss ohne Bezahlung länger schuften. Dabei verdiene ich nur 90 Pfennig am Tag. Das ist nicht viel. Kostet doch ein Brot schon 50 Pfennig. Wenn man in einer Fabrik arbeitet, ist die oberste Voraussetzung, dass man einen Eid über lebenslange Firmentreue ablegt. Auch darf man niemanden erzählen, wie die Maschinen funktionieren oder gar eine Zeichnung anfertigen.

Meine Mutter ist jetzt 30 Jahre alt. Sie kann sich kaum bewegen, weil ihre Wirbelsäule kaputt ist. Meine Mama muss auch noch zwei jüngere Geschwister von mir versorgen; den Haushalt und eine kleine Landwirtschaft unterhalten wir auch noch.

Mein Vater hat bei einem Unfall ein Bein verloren. Somit können beide Elternteile nicht mehr für den Unterhalt der Familie sorgen. Da bin ich nun für zuständig. Wenn ich zu spät auf meiner Arbeitsstelle erscheine, zieht man mir die Hälfte meines Tageslohnes ab. Einmal habe ich die Arbeit geschwänzt. Sie haben es sofort gemerkt und meinen Lohn gekürzt. Mein Vater hat mich dann auch noch geschlagen.

Die Königswelle ist das Herzstück des Betriebes. Die Welle treibt die Maschinen an und wird durch ein Schöpfrad mit Wasserkraft angetrieben. Bei Niedrigwasser im Sommer habe ich manchmal ein paar Tage frei. Dann erhalte ich aber auch keinen Lohn.

Werner Kistler